Die Reichenbacher Tracht


Die „Babelskunera“, Frau Kunigunda Förtsch, geb. Neubauer, zeitlebens in Reichenbach gewesen, geb. 29. März 1848 in Reichenbach, gest. 27. Januar 1941 in Reichenbach, zuletzt wohnhaft Haus-Nr. 29 (Hauptstraße 42) hatte die Reichenbacher Tracht noch gut in Erinnerung. Bei Lebzeit schilderte die „Babelskunera“ die Reichenbacher Tracht wie folgt.

Auf ihrem blanken Leib trugen die Frauen und Mädchen ein leinernes Hemd. Es reichte bis über die Knie. Die langen Ärmel hatten Falten an den Achseln. Vorne war das Hemd leicht ausgeschnitten.

Die Beine steckten in langen wollenen Strümpfsocken, von denen man aber kaum etwas sehen konnte, weil Unterrock und Überrock bis an die Knöchel reichten und die Beine völlig verhüllten. So konnte sich das weibliche Geschlecht auch weitere Unterwäsche ersparen, was sich aber, je kürzer die Röcke wurden, mit der Zeit langsam änderte.

Der Unterrock wurde aus farbigem Zeug geschneidert, wozu ausgesprochen dunkle und unauffällige Farben ausgesucht wurden. Auch die Samt- oder Seitensäume und Saumbänder waren in dunkelfarbigen Ausführungen gehalten.

In sehr gedämpften blauen, braunen, grünen und grauen Tönen zeigten sich die Überröcke, welche durch aufgenähte blaue, rote, grüne und geblumte Seidenbänder sowie durch sorgsam gelegte Falten und Plissees ausgeputzt waren.

Der Unterrock wurde an breiten farbigen oder geblümten Bändern so in den Hüften gehalten, daß die Tragbänder auf der Brust gerade und auf dem Rücken gekreuzt über das Hemd liefen. Der Bund des Überrockes lag fest um die Taille und wurde nur zugehäkelt. Es wurden indes meist mehrere Röcke übereinander, die zudem noch am Bund watiert waren, getragen.

Über das Hemd zogen die Frauen den Brustfleck, ein ärmelloses und vorne ausgeschnittenes Leibchen aus farbigem Zeug in sehr gedeckten Farben. Der Brustfleck wurde vorne geknöpft, reichte knapp bis an die Hüfte und war im Kreuz etwas kürzer geschnitten, so daß das Hemd vorschaute. Der Achselausschnitt sowie die Säume waren mit Seidenbändern eingefaßt.

Auf dem fest sitzenden Brustfleck legte die Frau das Halstuch, in der Regel aus Seide oder Kaschmirgarn, seltener aus Kaschmirwolle, auch Kaschamee genannt, glatt und mit langen Fransen. Es lag überecks gefaltet so um Hals und Schultern, daß die Zipfel nach vorne hingen und die Dreiecksspitze in das Kreuz schlug. Die Zipfel kreuzten sich geknotet auf der Brust. Überlange Zipfel wurden nach hinten geknüpft oder durch die Schürzenbänder an den Hüften festgehalten.

Die Schürzen waren meist nur aus Seide. Zum Staatmachen zogen die Frauen nur seidene Schürzen mit breiten schwarzen Spitzen an.

Über den Brustfleck wurde der Stutzer angelegt. Für die Reichenbacher Tracht wurden nur schwarze Stutzer verwendet. Der Stutzer war ein Jäckchen mit weit geschnittenen Puffärmeln und hohen Achselnähten. Das Vorderteil war tief ausgeschnitten, damit man das Brusttuch sehen konnte. Der Stutzer wurde einreihig geknöpft. Die Knöpfe waren zierlich und hatten nur ein Öhr. Die Bündchen wurden zugehäkelt. Die Eleganz des Stutzers war der Schnitt auf Taille und das mit einem Samtstreifen gesäumte kurze Schößchen, das rund um den Leib abstand.

Als einfachster und gewöhnlicher Kopfputz war immer das Kopftuch gebräuchlich. Aus Baumwolle für alle Tage und aus feiner, zwiefädiger Wolle für die Sonn- und Feiertage. Das farbige, mitunter auch geblümte Kopftuch lag überkreuz mit der Langseite des rechtwinkeligen Dreiecks an der Stirne. Die Enden schlang man um den Kopf, führte sie nach vorne und knüpfte sie auf der Stirne.

Noch früher trugen die Frauen einen Hader. Das war ein etwas größeres und schwereres Kopftuch, welches zum längeren Tragen mit Kartoffelstärke gesteift wurde. Der Sonntagshader war stets weiß und der Allertagshader farbigt oder geblumt. Bei Begräbnissen wurden nur schwarze Hader getragen, wobei ein Ende des Haders nach vorne und das andere Ende nach hinten hing.

Noch vor der Zeit, da die Frauen den Sonntagshader in Weiß getragen haben, schmückten sie sich an den Sonn-, Feier- und Festtagen mit der Haube. Diese war aus schwerer geflammter Moirèseide kegelförmig geformt und paßte genau auf den Kopf. Mit einem Seidentuch wurde sie festgebunden, so, daß die vorne geknoteten Zipfel in die Luft statzten. An der Haube hingen seidene, dunkle Flügel, deren Enden weit in den Rücken reichten und bei jeder Bewegung flatterten. Gold-und Silberflitter zierten die Haube.

Frauen und Mädchen jeden Alters trugen einfache schwarze Schnürschuhe mit halblangen Schäften und ohne jegliches modernes oder modisches Beiwerk. Das Leder wurde mit gerußtem Schmer eingerieben und mit Spucke glänzend gebürstet.

Als begehrtesten Schmuck trugen die Frauen und Mädchen den „Anker“, Sinnbild der drei christlichen Tugenden, Glaube (Kreuz), Hoffnung (Anker) und Liebe (Herz). Außer diesem Hänger schmückten sie sich noch mit kleinen, glatten, goldenen Ohrringen, mit feinen, silbernen schmalgliederigen Halsketten, mit gefaßten Maria-Theresia-Talern und einfachen Bernsteinketten, Fingerringe wurden selten getragen.

Reichenbacher Frauen mit der Reichenbacher Tracht und dem „Anker“ um 1928.
Die Tracht
wurde vor allem noch zum Kirchweihfest getragen.

 

(Von links: Margareta Daum, geb. Zwosta, *19.12.1913, Anna Neubauer, geb. Neubauer, *07.04.1911,
Katharina Schnappauf, geb. Jungkunz, *12.04.1917, Barbara Eichhorn, geb. Neubauer, *28.11.1910 +04.06.1986, Anna Stark, geb. Zwosta, *18.09.1907)

Die Reichenbacher Männer trugen auch das Leinenhemd. Der Halsausschnitt paßte so ziemlich genau an den Hals und schloß mit einem kleinen Bündchen, welches mit den beiderseitig angenähten Bändchen durch Knoten und Schleife zugeknüpft wurde. Die langen Ärmel hatten vorne am Handgelenk ebenfalls Bündchen, die mit Knopf und Knopfloch versehen waren. Mittels sog. Achselflecken wurden die Ärmel in das Hemd eingefügt. Das Männerhemd hatte einen langen Stoß.

Die Beinkleider trug der Reichenbächer meist ohne Unterhose. Höchstens in den Wintermonaten wurden Hemden und Unterhosen, auch „fronellana Ündäwesch“ genannt, aus Flanell getragen.

Die Strümpfe, auch Strümpfsocken genannt, waren aus Schafwolle selbst gestrickt und hatten einen derben Faden aus einem rauhen Gespinnst. Sie waren in der Naturfarbe der Wolle gehalten, aber auch eingefärbt, schwarz, grau oder gebleicht. Männerstrümpfsocken waren genau so lang wie Weiberstrümpfsocken und nur an der Fußlänge sah man den Unterschied.

Die Füße steckten in festen, derben Halbschuhen oder auch in hohen Schaftstiefeln. Für die Floßarbeiten, zum Teichziehen und zum Fischen trugen die Männer die Wasserstiefel. Das waren besonders langschäftige und schwere Lederstiefel, die mit einer Speckschwarte eingerieben und damit wasserdicht gemacht wurden.

Über Hemd und Hose trugen die Reichenbächer an den Werktagen nur einen groben Tuchkittel, der im Laufe der Jahre eine unbestimmte, neutrale Farbe angenommen hatte.

Wer es sich an den Werktagen erlauben konnte und sich an den Sonn- und Feiertagen dazu verpflichtet fühlte, kleidete sich über Hemd und Hose mit einer Tuch-, oft sogar mit einer Samt- und Seidenweste. Gewöhnlich war das Tuch der Westen schwarz oder dunkelbraun. Für bessere Tage auch dunkelblau oder moosgrün. Die Samtwesten waren vornehmlich in den letzteren Farben gehalten. Seidenwesten hingegen waren geblumt.

An Sonn-, Feier- und Festtagen wurde in der Westentasche, im Gilettäschlein, die Sackuhr oder die Patenuhr getragen. Sie hing an einem feingliederigen Kettlein, das entweder über die Knopfreihe zur anderen Westentasche den Bauch überquerte oder um den Hals geschlungen, auch durch ein Knopfloch gezogen und in das „Schileedäschla“ zur Taschenuhr zurückgeführt wurde.

Alle Westen waren einreihig und hochgeschlossen, die beinernen Knöpfe an der Weste waren meist halbrund wie Gaukel in halbkugeliger Form gedreht.

Über die Weste wurde der Frack oder Kittel, aus gleichem Tuch wie die Tuchweste geschneidert, getragen. Dieser hatte einen kurzen Schoß und war zweireihig, mit Beinknöpfen zu schließen. Gewöhnlich wurde er offen getragen, um so die Weste und die Kette freizulegen. Mäntel wurden zur Reichenbacher Männertracht nicht geschneidert.

Als Kopfbedeckung sollen früher Tuchmützen getragen worden sein, die den Dienstmützen des Reichsarbeitsdienstes (RAD) ähnlich gewesen sind. Nicht erwiesen ist, daß die Reichenbacher zu ihrer angestammten Tracht als Kopfbedeckung einen fränkischen Dreispitz getragen haben.

Um das Jahr 1865 änderte sich die Männertracht. Statt einer graubraunen Tuchmütz mit Schirm führte sich der schwarze Filzhut ein.

Das Hemd für den Sonntagsstaat bekam eine steif gestärkte Brust oder zwischen Hemd und Weste wurde das „Schmies“ (franz. Chemise), eine Modeerscheinung, als Vorhemd oder Hemdbrust geschoben. Dazu wurden gestärkte und hart gebügelte leinene Liegekräger um den Hals gelegt (nicht zu verwechseln mit den Vatermördern und Eckkrägen) und schwarze oder gedämpft dunkle Krawattenknoten, sog. „Sägeböcke“, zwischen beiden Liegekragenspitzen geführt und am vorderen Kragenknöpfchen eingehakt. Der Liegekragen mußte auch im Nacken in ein solches befestigt werden, das vordere und hintere hatten eine unterschiedliche Form, ließen sich zum Leidwesen der Männer ganz leicht verlegen und brachten Ärger und Verdruß beim sonn- und feiertäglichen Staatmachen.

Die Kleidung bestimmte schon immer das äußere Erscheinungsbild der Menschen, welche sich zeitgemäß, als Mode bezeichnet, änderte. So begründet sich wohl auch, daß die allerorts abgehaltenen sog. Trachtenkirchweihen einen Hauch der alten Trachten verspüren lassen. Für die Reichenbacher Tracht gilt die Tatsache, daß sich die „Zechmaala“ auch „Zecherinnen“ vor Jahren noch bemühten, von ihren Verwandten und Bekannten ein Stück Tracht auszuborgen. Die Burschen, also die „Zecher“, hingegen legten zu keiner Zeit Wert darauf, eine alte Männertracht zu tragen.