Wickel und Zigarren


Als der Weltkrieg 1914/1918 beendet war und die deutschen Soldaten in ihre Heimat zu ihren Familien heimkehrten, begann für die Männer ein neuer Kampf, der um den Arbeitsplatz.

Viele von den Heimkehrern bemühten sich wieder in den alten Betrieb zurückzufinden. Die Reichenbacher Burschen und Männer hatten vor dem Krieg im „Herzoglichen Staatsschieferbruch“ Lehesten/Thüringen als Raum- und Hüttenarbeiter geschafft. Wenige nur suchten und fanden Arbeit in den Glashütten und Porzellanfabriken, welche in den Dörfern westwärts von Reichenbach und im benachbarten Thüringen lagen.

Um den kargen Lohn etwas aufzustocken, schauten sich viele Familien nach Heimarbeit um und so plagten sich Mutter und Kinder vornehmlich in den Herbst- und Wintermonaten mit dem Larvenmachen. Viel war damit nicht verdient und der Weg mit dem Huckelkorb voller Fertigwaren zum Zwischenmeister in den Ortschaften um Sonneberg, also schon in Thüringen, und der Heimweg mit neuem Material auf der Hucke lohnte sich nur sehr spärlich. Die „kleinen Leute“ blieben arm und hausten armselig. Doch das Leben ging in den Großfamilien weiter.

Da tat sich ein neuer Arbeitsmarkt auf. Aus Thüringen kamen die „Zigarrnsherrn“ und richteten in den Frankenwalddörfern, auch in der Stadt Teuschnitz, Filialbetriebe ihrer Firmen ein.

In diesen sogenannten „Zigarrnsfabriken“ wurden nur Frauen und Mädchen eingestellt und angelernt. Grundbedingung für die Errichtung eines Zweigbetriebes war, daß im Ort oder im Dorf ein geräumiger Wirtshaussaal mit Keller für das Zollager und die Vorbehandlung der Rohtabake zur Verfügung stand.

Natürlich mußte für den „Zigarrnsmeister“, der vom Hauptbetrieb in das Dorf verschlagen wurde, eine standesgemäße Wohnung aufgetrieben werden. Der Saal mußte zu heizen sein und es genügte dem Betriebsleiter, wenn wenigstens in der Nähe ein Lauf- oder Pumpbrunnen stand, um das Wasser zum Feuchten, Laugen und Beizen der Rohtabake zu holen.

Der Saal war rasch Werkraum und Arbeitsstätte, Büroraum und Betriebsfiliale; ebenso rasch war er wieder Wirtshaussaal und Tanzboden oder Versammlungsraum. Es war zwischen dem Wirt und der Firma vertraglich ausgehandelt, wann und wie oft der Saal dem Wirt zur Verfügung gestellt und ausgeräumt werden mußte. Eingeräumt war der Saal dann auch gleich wieder. Es brauchten nur die Wickeltische wieder aufgestellt, die Hocker dazugestellt und die Lampen über jedem Arbeitsplatz aufgehängt zu werden und schon konnte der Betrieb wieder beginnen.

In der Zigarrenfabrik schafften außer dem Zigarrenmeister und dem Hausmann, welcher auch eine Frau sein konnte, ausschließlich Frauen und Mädchen. Jede Arbeiterin hatte ihren eigenen Arbeitsplatz, den Wickeltisch. Mindestens 4 oder vielleicht auch 6 solcher Tische bildeten eine lange Tafel, an der die „Zigarrnsmacherinnen“ auf einem billigen Hocker sitzend werkelten. Genau genommen unterschied man die Frauen und Mädchen in Wickelmacherinnen und Zigarrenmacherinnen, denn die einen fabrizierten den Wickel und die anderen die Zigarren.

Das Material dazu war Tabak. Für den Wickel die Einlage und das Umblatt, für die Zigarre das Deckblatt, auch „Decker“ genannt.

Die Einlage kam als fertige, wohlabgestimmte Mischung aus vielerlei Tabaksorten und Tabaksarten, in großen Säcken vom Hauptbetrieb, wo Fachleute unter Wahrung des Fabrikationsgeheimnisses die Bestandteile, also die Rohtabake, kleingerippelt und geschnitzelt zubereiteten.

Bevor es zur weiteren Verarbeitung in den Zweigbetrieben kam, hatte der Meister im Keller des Zweigbetriebes aus dem Zollager die gebündelten Umblätter und Deckblätter den Hanfmatten entnommen und gewogen, dann dem Hausmann und seinen Helferinnen übergeben, damit sie die Tabakblätter in vollen Wannen und Bottichen feuchten, laugen und beizen konnten, ehe sie sorgfältig Umblätter und Deckblätter in Bündeln auflegten.

In der Fabrik, also im Arbeitssaal, gab der Meister von seinem Tisch aus den anstehenden Arbeiterinnen ihre Anteile an Umblatt und Deckblatt, nicht ohne jedes Quantum an Rohtabak in „ihr“ Büchlein einzutragen. Bei der Monatsabrechnung mußte die Lieferung mit dem Verbrauch übereinstimmen, Firma und Zollamt duldeten zwar eine Toleranz, aber keine Differenz.

Jeden Samstag wurde in der Zigarrenfabrik saubergemacht und vor allem die Wickeltische geschrubbt. Bevor sie den Wickeltisch mit Wasser und Seife bearbeiteten, wurden Tischplatte, Fächer, Schubber und Aufsatz gekehrt und alle Tabakreste vom Wickeln, Rippen, Schneiden etc. gesammelt, versackt und gepackt, gewogen und abgeschrieben. Die gesammelten Reste gingen dann mit der nächsten Lieferung an den Hauptbetrieb zurück, wo sie zur Wiederverwendung gereinigt und aufgearbeitet wurden.

Das eigentliche Arbeitsgerät, bestehend aus dem „Zigarrnsmesserchen“ und dem Schneidbrett, nahmen die Arbeiterinnen mit heim. Ebenso das Schnapsglas für den Tragant, auch bekannt als Strangel oder Bocksdorn. Das war ein trüber, schlüpfriger Gummischleim und als farb- und geruchsloser Klebstoff verwendet. Zuhause wurden die Sachen gereinigt.

Die Stadt Teuschnitz beherbergte den ersten Filialbetrieb einer Zigarrenfabrik. Die Gemeinde Haßlach zog durch die Errichtung eines Zweigwerkes der Firma David Hoch’s Wwe. & Co. aus Planitz/Thüringen nach.

Reichenbach erhielt erst 1935 eine „Ziggarnsfabrik“. Die Firma richtete im Saal des Gasthofes „Zum Frankenwald“ in Reichenbach, Besitzer Michael Förtsch, auch bei „Hannserles“ genannt, einen Filialbetrieb ein. Mit 40 Arbeiterinnen begann der Werkmeister Fuchs die Zigarrenfabrikation in Reichenbach.

Im Jahre 1938 gründete Franz Riebel aus Mühlhausen/Thüringen in Reichenbach einen Zweigbetrieb und mietete den großen Saal des Gasthofes „Deutsches Reich“, Besitzer Josef Neubauer, genannt „Babelsepper“.

Gegen Kriegsende verlegte Franz Riebel seinen Filialbetrieb Tachau/Tschechoslowakei nach Reichenbach. Aber schon 1950 verzog die Firma nach Friedberg/Württemberg.

Schon im gleichen Jahr mietete die Firma Bruns bey Rhein aus Sandhausen die beiden Säle, übernahm alle Zigarrenarbeiterinnen und stellte in der „öwän Fabrik“ den Werkmeister Lorenz Löffler aus Teuschnitz und in der „ündän Fabrik“ den Werkmeister Justus Söder aus Fladungen als „Zigarrnsmastä“ ein.

Beide Filialbetriebe wurden am 30. Oktober 1967 stillgelegt, da die Firma im Zuge der Rationalisierung und Zentralisierung die Außenstellen im oberen Frankenwald nicht mehr für einträchtlich betrachtete.

Die Frauen und Mädchen hatten in den Zigarrenfabriken gut verdient und konnten das Einkommen der Familie erheblich aufstocken. Mit den Deputatleistungen der Firmen konnten sie sich zusätzlich Geld machen.

Wie schon erwähnt, waren in den Zigarrenfabriken nur Frauen und Mädchen beschäftigt. Die einzigen Mannsbilder waren die Werkmeister, auch Zigarrenmeister genannt und der Hausmann, der aber auch eine Frau sein konnte. So richtige Schwerarbeit fiel ja nicht an.

Die Mädchen, soweit sie noch berufschulpflichtig waren, besuchten die eigens dafür umgemeldete landwirtschaftliche Berufsschule Reichenbach. Die Haustöchter aus den landwirtschaftlichen Betrieben des Dorfes standen so sehr in der Minderzahl, daß das Schulamt Kronach die landwirtschaftliche Berufsschule Reichenbach in eine Berufsfachschule für Tabakarbeiterinnen umformte. Es gab also drei Fachklassen für Tabak und als Fachlehrer für Berufskunde wirkte Arthur Schreiter, Werk- und Zigarrenmeister der Firma Müller & Co. aus Haßlach. In den übrigen Fächern unterrichteten Lehrerinnen und Lehrer der Volksschule Reichenbach. Nach dem Auf- und Ausbau der Kreisberufsschule Kronach wurde die Berufsschule Reichenbach (Tabak) aufgelöst.

Die werktätigen Frauen und Mädchen in den sogenannten Zigarrenfabriken nannten sich Zigarrenmacherinnen. Genau genommen gab es aber in den Fabriken zwei besondere Berufe für die Arbeitnehmerinnen, d.h. die eine Berufsgruppe nannte sich Wickelmacherinnen und die andere Berufsgruppe waren die Zigarrenmacherinnen.

Die Wickelmacherin arbeitete mit Einlage, Umblatt und Form. Die Einlage bekam sie bei der Tabakausgabe gegen Eintragung der Menge und des Gewichtes in ihr Büchlein fix und fertig gemischt und abgeschmeckt, ebenso auf ähnliche Weise die aufgelegten Umblätter.

Aus diesen aufbereiteten Rohtabaken mußten sie an ihrem Arbeitsplatz einen Wickle formen. Das ergab die Urform einer Zigarre, die noch recht roh und „ruppig“ aussah.

Die Wickelmacherin hatte ein Tabakblatt, das Umblatt, mit raschem Griff in einem Zug entrippt. Die Rippe verwahrte sie bei den anderen in einem Fach ihres Arbeitstisches, denn auch Rippen waren Zollgut.

Aus den Umblatthälften schnitt sie mit dem Zigarrenmesserchen ein Umblatt für den Wickel zurecht. Dann griff sie in den auf dem Tisch liegenden Tabakhaufen, nahm eine Handvoll Einlage und schüttete sie auf das Umblatt, verteilte den Tabak gleichmäßig und rollte das Umblatt vom Körper weg auf der Tischplatte zu einem Wickel. Diesen hob sie vom Wickeltisch und legte ihn mit leichtem Druck in die neben ihr aufgebaute Form. Die Form war eine zweiteilige, schmale, aber lange Holzplatte mit aufgesetzten Sperrholzformen in der jeweiligen angeforderten und von der Hauptstelle bestimmten Zigarrenform. Für Einzelwickel hatte der Form 20, für Doppelwickel 50 Schablonen, deren Hälften beim Schließen des Formes genau aufeinander paßten. Wenn der Form mit den Wickeln gefüllt war, legte die Wickelmacherin die Hälften zusammen, schob die hölzernen Zapfen in die Zapfenlöcher und preßte Ober- und Unterteil fest aufeinander. Die im Form eingeschlossenen Wickel waren nur noch an den beiderseits überstehenden Enden, Spitze und Brandende, zu erkennen.

So stapelte die Wickelmacherin die vollen Formen in die Presse, einem einfachen Eisengestell, in dessen Stangen von oben her eine Eisenplatte an einem starken Gewindestift gespillt werden konnte.

Schon nach zwei Stunden konnte man die Formen aus der Presse nehmen, öffnen und die Wickel aus den Schablonen heben, jedoch nicht ohne zuvor gleich die überstehenden Enden mit dem Zigarrenmesserchen zu kappen. Die Reste wurden gesammelt und für die Abrechnung sorgfältig aufgehoben.

Die Wickel aus der Form sahen schon recht manierlich aus, aber es waren noch keine fertigen Zigarren. Die Formen mit den Wickeln übernahmen die Zigarrenmacherinnen. Eine Wickelmacherin konnte drei Rollerinnen (Zigarrenmacherinnen) versorgen, d.h. eine geschickte und geübte Rollerin erfüllte mit 400 Stück Fasson (Zigarren) an einem Arbeitstag die Norm.

Die „Zigarrnsmachera“ hatte sich bei der Tabakausgabe statt der Einlage und der Umblätter nur Deckblätter geben und eintragen lassen. Die Deckblätter waren vor der Ausgabe von den Deckblattauflegerinnen mit großer Sorgfalt aus feuchten Tüchern entnommen und Stück für Stück ausgebreitet und gestapelt worden. Von der Waage weg trug es die Rollerin in einem gut angefeuchteten Rupfen zum Arbeitsplatz.

Das Deckblatt mußte von der Zigarrenmacherin auf den Wickel gerollt werden. Es sollte der Zigarre Geschmack und Gesicht, Aussehen und Art geben. Die Rollerin arbeitete wie die Wickelmacherin an einem Arbeitstisch, wo vor ihr noch ein glattes Schneidebrettchen lag, auf dem sie das Deckblatt, ohne daß es Schaden nahm, zuschneiden konnte. Sie schnitt es entweder für Muster Fasson, für gerade Zigarren, oder für Muster Corona, für normale Zigarren mit Spitze und Brandende. Für die Zigarrenspitze, die dann der Raucher abschneidet oder aber auch abbeißt, formte die Zigarrenmacherin das Ende mit einer Tülle aus Holz oder Horn. Das Brandende der Zigarre putzte und stutzte die Rollerin mit dem „Zigarrnsmesserla“ oder dem „Zigarrnsscherla“ formvollendet zurecht.

Es gab in Reichenbach lange Zeit keine Zigarrenmacherinnen mehr. Erst seit etwas 20 Jahren wurden vereinzelt in Heimarbeit wieder Zigarren gemacht. Heute sind es noch zwei Frauen, die in Heimarbeit den Beruf ausüben.